Die Milchstraße - Mein Pilgerweg von Ferrol nach Santiago de Compostela (camino ingles)

Pilgrimage ist eine erfinderische Publikation* (5)

Dudelsackpfiefer in Santiago de Compostela - Foto Heinrich WagnerIn der Altstadt von Santiago de Compostela frömmelt es nicht nur an jeder Ecke, nein auch in jeder Gasse und auf jedem Platz.collage_santiago
Der heilige Jakobus ist in unterschiedlichster Ausfertigung und jeder Größe, einmal kaum 5 cm groß, billigst produzierter Spritzguß bis zu handwerklich aufwändig ausgefertigten Statuen in Silber, allgegenwärtig.
Pins und Aufkleber in jeder Größe und Preislage, Nachahmungen der wegweisenden Fliesen in vielen Größen, mit oder ohne Magnete, "echte" Pilgermuscheln aus dem Meer, aber auch aus jedem denkbarem Material, erinnern daran, dass das Ziel der Pilgerreise erreicht ist.

Priestergewänder, Krankensalbungssets und Messkelche in der einen Auslage und T-Shirts, mit mehr oder weniger sinnvollen Sprüchen und Symbolen bedruckt, in der nächsten.
Juweliere, die Massenware aus vieler Herren Länder anbieten, und solche, die kunstvoll gefertigten Designschmuck verkaufen.
Wenn die Fülle des Angebotes an Devotionalien Ausdruck von Frömmigkeit ist, wenn die angebotene Ware die Einstellung zum Glauben verändern kann, dann sollte auch einer, der als Atheist in der Altstadt von Santiago gekommen war, seine Überzeugung spätestens nach ein paar Tagen revidiert haben.
Die Überprüfung dieser These konnte ich nicht durchführen. Aber eine Behauptung wage ich: Niemand kann auf die Dauer gegen die Realität existieren.

Nach dem Regen in Santiago de Compostela - Foto Heinrich WagnerAls es zu regnen beginnt, erkenne ich an der Veränderung der Menschen, ob sie mit dem Bus oder Flugzeug "gepilgert" sind oder die Pilgerschaft im Sinne der Tradition auf sich genommen haben. Die Erstgenannten kramen ihre Taschenknirpse hervor, hüllen sich in Einwegpellerinen - das Material, aus dem diese gefertigt sind, ist dem vergleichbar, aus dem Müllsäcke gemacht werden - und steuern zielstrebig hinter einem Anführer auf die nächste schützende Arkade zu.
Die wahren Pilger trotzen in ihren erprobten Umhängen, wie schon so viele Male, dem Regen. Unbeeindruckt setzen sie gemessenen Schrittes ihren Weg fort.
Unter den Arkaden des Raxoi-Palastes entsteht Gedränge. Die galicischen Weisen des Dudelsackpfeifers verstummen. Es würde ihn auch niemand hören, sobald der Kopf unter der Kapuze verschwunden ist.
Auf seinem Weg hinterläßt der Botafumeiro eine intensive Weihrauchspur Foto Heinrich WagnerDie in der Kathedrale Schutz gesucht haben erleben, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt gekommen sind, wie die braun bekutteten Tirabuleiros das dicke Tau des Botafumeiro von der Säule lösen.

Mehr als 80 Kilogramm wiegt der Weihrauchwerfer, ein aus Silber gefertigtes Meisterwerk. Heruntergelassen, kaum mehr als einen Meter über dem Boden hängend, wird das Gefäß kurz angestoßen.
Mit Geschick ziehen die Tirabuleiros am Tau, beschleunigen so den Kessel ihn mit lange geübter Schwingtechnik; nach wenigen Pendelbewegungen rast das Weihrauchgefäß mit einer Geschwindigkeit von mehr als 60 Stundenkilometern von einem Gewölbe zum anderen der Seitenschiffe. Auf seinem Weg hinterläßt er eine intensive Weihrauchspur, die sich in der Kathedrale ausbreitet.
Seit dem 16. Jahrhundert werden so die unangenehmen Ausdünstungen der Pilger in Wohlgeruch verwandelt. Ergriffen folgen die Anwesenden dem Geschehen und so mancher meint mit dem Weihrauch steige auch seine Seele ein Stück weit dem Himmel entgegen.

Der Applaus aller Anwesenden gilt mir als Nachweis, dass auch Zweifler sich von dieser symbolträchtigen Handlung beeindrucken lassen.
 

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