Die Milchstraße - Mein Pilgerweg von Ferrol nach Santiago de Compostela (camino ingles)

 

Brief eines Pilgers ohne Namen

Diesmal werd´ ich nicht...

Später einmal, oder auch gleich darauf, fällt mir sicher ein, einmal gelesen zu haben, dass der Mensch „ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schaudern und Stehenbleiben“ sein soll.
Und dass das, was an mir, der ich ein Mensch bin, groß ist, das ist, dass ich eine Brücke und kein Zweck bin: was geliebt werden kann an mir, das ist, dass ich ein Übergang und ein Untergang bin.
Und dass ich nur als Untergehender leben kann, denn so werde ich zu einem Hinübergehenden, wenn es nach Friedrich Nietzsche gehen sollte.

Ich frage mich, ob es wirklich die Sehnsucht nach anderen Ufern, geboren aus der Verachtung ist, die mich erst hinter den Sternen einen Grund suchen lassen soll.

Nein, zum ......., ich tue und denke nicht, damit einst der Übermensch lebe.
Ich entwerfe mich, arbeite und erfinde, aber nicht um dem Übermenschen das Haus zu bauen und ich will auch nicht meinen Untergang; auch wenn diese Metapher nur eine verlassene Stufe der Reflexion bedeuten sollte.

Und trotzdem will ich schenken und will mich nicht für mich allein bewahren.
Ich bekenne mich dazu, dass meine Seele tief sei, auch in der Verwundung, und dass ich auch von kleinen Erlebnissen tief berührt und auch tief verletzt werden kann und dennoch: ich gehe nicht gerne über diese Brücke.
Ich behaupte, freien Geistes und freien Herzens zu sein; mein Herz treibt mich nicht in den Untergang.
Ich werde weder als schwerer Tropfen einzeln aus der dunklen Wolke fallen, die über den Menschen hängt, noch werde ich verkündigen, dass ich als Blitz komme und als Verkündiger zu Grunde ginge. Diesmal werd ich nicht!
Und niemals werde ich ein Lied singen, das die Zeilen enthält: „Seht, ich bin ein Verkündiger des Blitzes und ein schwerer Tropfen aus der Wolke: dieser Blitz aber heisst Übermensch.“

Santiago de Compostela nach dem Pfingstfest
im Jahr des Herrn 1423

Meine liebe Familie!
Gestern bin ich nach den vielen mühevollen Tagen glücklich und unversehrt an meinem Ziel angelangt.
Es war ein herrlicher Augenblick, als ich vom Monte de Gozo aus das erste Mal der Türme der Kathedrale von Santiago, das Ziels meiner Pilgerreise, ansichtig wurde; überglücklich sank ich auf die Knie und dankte dem Heiligen Jakobus, dass er mich so sicher bis hierher geleitet hat.Jakobus in einer mittelalterlichen Darstellung
Nach der rituellen Waschung flog ich gleichsam, gemeinsam mit  vielen anderen Peregrini, leichtfüßig meinem Sehnsuchtsziel entgegen. Durch die engen Gassen eilte ich auf den großen Platz vor der Kathedrale.
Diese Kirche erstrahlt im Glanze der Wunder des Heiligen Jakobus. Er ist es, der den Kranken Gesundheit wiedergibt, der Blinde wieder sehend werden läßt,  die Zunge der Stummen löst, dem Tauben wird das Gehör durch ihn wieder zuteil, vormals Hinkenden gibt er normalen Gang zurück, Besessene befreit er von allen bösen Geistern.
Auch meine Gebete hat der große Heilige erhört,  die Ketten meiner Sünden fielen ab, der Himmel öffnete sich mir und alle Betrübnis wich aus meiner Seele.
Inmitten all der Menschen fremder Völker, die aus allen Teilen der Welt sich hier an einem der heiligsten Orte der Christenheit versammelt haben, brachte ich dem Herrn Gebete und Lobpreisungen dar.
Beim Aufstieg über die Stufen der Rampe, beim  Durchschreiten des Tores fiel alle Trübsal von mir und meinen Mitpilgern ab. Glücklich in höchstem Maße und voll der Freude wurde ich von der vollendeten Schönheit dieser Kirche überwältigt.
Diese erste Nacht in Santiago verbrachte ich so nah es gerade ging am Heiligtum; ich mußte mich manchmal anderer erwehren, um meinen Platz wenige Schritte entfernt vom Grab des Apostels behaupten zu können.

Am Morgen des nächsten Tages durfte ich meine Opfergaben darbringen. Ich begab mich nach dem Morgengeläut zur "arca de la obra", das heißt "Schatztruhe des Werkes". Ein Wächter mit einer Rute stand neben ihr und schlug mich auf die Schulter. Auf der Truhe selbst stand ein Kleriker mit einem Chorhemd bekleidet, ein Schreiber verlas laut und deutlich die Ablässe.
Der Kleriker forderte die versammelten Gläubigen aus aller Herren Länder lautstark in ihrer jeweiligen Sprache auf, ihre Opfergaben niederzulegen.
So brachte ich, als die Reihe an mir war, meine  Geschenke, Wachsspenden und Geld dar.
Anschließend beichtete ich und mir wurde der Leib des Herrn gegeben.

Man überreichte mir eine Bestätigung, dass ich von nun an dem Kreis der Jakobspilger angehöre.
Zum Schutz auf der Heimreise erhielt ich als Wahrzeichen meiner erfolgreichen Pilgerfahrt “meine”  Jakobsmuschel. Sie gewährt mir nicht nur Schutz und Ansehen, sondern sie zu berühren heilt auch Krankheiten.

Brief Teil 2

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